Was ist Queer_Feminismus?

von Blu Doppe

„die mauern fingen an zu bröckeln. sie zerfielen.

wieso? weil wir hunderte, nein, tausende male gegen genau diese mauern gerannt sind. uns unsere köpfe an ihnen blutig schlugen und trotzdem wieder anlauf nahmen.“

zerfall … brechen … risse … bröckeln …

etwas festes bricht in kleine splitter … sie halten erst noch

zusammen … nach und nach fallen teile ab … das feste wird instabiler und

fällt schließlich in sich zusammen … die ersten risse entstehen durch

menschen, die dagegen rennen immer und immer wieder … irgendwann setzen sich

die risse von alleine fort … andere menschen probieren es

zusammenzuhalten… wollen dass es bleibt … wollen beim alten bleiben … es

gibt stellen, an denen die risse wieder geklebt werden … die risse verlaufen

durch so viele menschen hindurch … menschen, die sich selbst

aufbrechen … menschen, die sich selbst wieder zusammen kleben …

es gibt männer und es gibt frauen. fertig.

so war es immer und so wird es immer sein. fertig.

ich sehe wer mann und wer frau ist. fertig.

mann und frau gehören zusammen. fertig.

das ist natürlich. fertig.

es gibt menschen, die das glauben.

es gibt menschen, die das nicht glauben.

es gibt menschen, die im kleinen oder großen dagegen kämpfen.

schon sehr lange.

manchmal sieht das, was erreicht wurde nach sehr wenig aus.

manchmal nicht.

ein blick bleibt hängen.

ein bild bröckelt.

ein bild bekommt risse.

es zerfällt.

es macht platz für etwas neues.

da gehst du raus und siehst mich.

da gehst du raus und siehst mich nicht.

dein blick bleibt an mir hängen.

dein bild bröckelt.

dein bild bekommt risse.

du zerfällst.

du machst platz für etwas neues.

da gehe ich raus mit rasierten beinen oder auch nicht.

da gehe ich raus geschminkt oder auch nicht.

da gehe ich raus in einem kleid oder auch nicht.

da gehe ich raus mit einem penis oder auch nicht.

da gehe ich raus mit kurzen haaren oder auch nicht.

da gehe ich raus mit einem lächeln oder auch nicht.

da gehe ich raus und es wird mit ‚er‘ über mich gesprochen oder auch nicht.

da gehe ich raus und rede darüber oder auch nicht.

da gehe ich raus und werde verstanden oder auch nicht.

da gehe ich raus und bin willkommen oder auch nicht.

da gehe ich raus und sehe geschlecht oder auch nicht.

da gehe ich raus und werde zusammengeschlagen oder auch nicht.

da gehe ich raus oder auch nicht.

mein blick bleibt an mir hängen.

mein bild bröckelt.

mein bild bekommt risse.

ich zerfalle.

ich mache platz für etwas neues.

  • Bist du eine Queer_[1]feminist_in?
  • Ist das überhaupt möglich? Kann ich nicht nur queer_feministisch sein? Ist queer_feministisch nicht eher ein_e Anspruch_Handlung?
  • Und was machst du dann so queer_feministisches?
  • Jetzt gibt‘s schon so viele Fragen, die hier herumfliegen… also:

 (*Räusper*, mit Zeigestock an Tafel klopfen): Der Begriff „queer“, als positiv wiederangeeignetes englisches Schimpfwort, kann hier bedeuten, dass auf die Lebensrealitäten und Kämpfe von queeren Personen z. B. nicht-binären, aromantischen, pansexuellen Personen fokussiert wird. Mit „queer“ kann auch Bezug genommen werden auf die Queer Theorie, welche grob vereinfacht, die Verbindung und Wirkmacht von biologischem Geschlecht (engl. Sex), sozialem Geschlecht (engl. Gender) und Begehren (engl. Desire) kritisch analysiert, Identität(sbildung) grundlegend infrage stellt und ins Verhältnis zu (Nicht-) Heteronormativität und (Nicht-) Queerness setzt. Diese verschiedenen Verwendungen lassen sich meist nicht klar abgrenzen oder definieren und leben auch von dieser Offenheit, was ich sehr gerne mag und mich manchmal verzweifeln lässt.

Feministisch ist vielfältig und unterschiedlich. Es gibt verschiedene feministische Strömungen mit verschiedenen Anliegen, Schwerpunktsetzungen und Fokussierungen. Eine Grundidee vieler Strömungen ist Gleichheit, Freiheit und Selbstbestimmung aller Menschen im privaten und öffentlichen Bereich zu erreichen.

Viele Menschen, die queer_feministisch sind_handeln, haben einen intersektionalen Anspruch. Das heißt, die Verwobenheit von verschiedensten Diskriminierungs- und Herrschaftsverhältnissen, die diese Gesellschaft durchziehen, zu analysieren und mitzudenken. Ich bin den BIPOC Feminist_innen, wie z. B. Sojourner Truth, Kimberlé Crenshaw und bell hooks sehr dankbar, dass sie diesen Ansatz entwickelt haben und immer noch weiterentwickeln.

Dabei ist der queer_feministische Kampf ein Kampf aller, die aufgrund von Geschlecht, Religion, Sexualität, Klasse, Herkunft, Beeiträchtigung, Aussehen oder anderer (vermeintlicher) Gruppenzugehörigkeiten unterdrückt werden. Dieser Kampf wird auf individueller, intra-individueller, institutioneller und kultureller Ebene, kurz strukturell geführt.

Damit wir gemeinsam kämpfen können, möchte ich mich mit meinen Privilegien auseinandersetzen. Ich möchte zuhören. Ich möchte keinen Platz Anderen nehmen. Ich möchte Platz freigeben und bereitstellen, wo ich kann. Ich möchte unsere Unterschiede und Gemeinsamkeiten wahrnehmen, respektieren und feiern. Es kann dabei durchaus sein, dass Empowerment für die einen Einschränkung_Verletzung für die anderen bedeutet und umgekehrt. Diese Aushandlungen bedürfen viel Zeit, Verantwortungsübernahme und Wohlwollen. Ich möchte an mir selbst arbeiten. Ich möchte, dass wir uns gegenseitig kritisieren, um gemeinsam zu ver_lernen, um uns zu verbünden und uns gegenseitig zu bestärken. Ich möchte, dass die Differenzen eine Rolle spielen und auch immer mal wieder keine. Mich immer wieder und stetig fragen, was diese Privilegien, Diskriminierungen und Strukturen für mein Leben_Denken_Fühlen_Sein_Handeln_? bedeuten und für deins und deins und für unseres.

Queer_feministisch bedeutet für mich, dass ich Denk-, Handlungsweisen und gesellschaftliche Normen erkennen, benennen, infrage stellen und aufbrechen möchte. Ich möchte für eine Gesellschaft kämpfen die Kategorien überwunden hat und nicht mehr nach diesen einteilt, benachteiligt, hierarchisiert, diskriminiert. Ich möchte, dass es genug Platz für alle Menschen und (Nicht-)Identitäten gibt und dass wir ein gutes Leben führen können. Dass dies noch lange dauern wird, bin ich mir bewusst. Dass ich bis dahin noch Kategorien und Benennungen brauche, weiß ich. Aber ich bin und bleibe zuversichtlich.

Weiterführendes:

  • Gunda-Werner-Institut (Hg.): Reach everyone on the Planet – Kimberlé Crenshaw und die Intersektionalität
  • Riki Wilchins: Gender Theory – Eine Einführung
  • Meg-John Barker, Julia Scheele, Jen Theodor: Queer – Eine illustrierte Geschichte

Blu Doppe ist Bildungsreferent_in, Antidiskriminierungs- und Diversity-Trainer_in, sowie Trainer_in für Theater der Unterdrückten. Blu gibt seit 5 Jahren (Online-) Workshops zu verschiedensten queer_feministischen Themen meist unter dem Namen queer_topia*. Weitere Informationen unter queertopia.blogsport.de oder bei Facebook: queer_topia.


[1] Mit dem Unter_strich soll das fließende Übergehen, Verschmelzen, Alleinstehen und Neu_er_schaffen von Begriffen dargestellt werden. Ein Raum für Verschiedenheit und Interpretation.